Kambodscha ist eines der ärmsten Länder Asiens mit einer traurigen Geschichte von Unterdrückung und Genozid, die nur etwas mehr als 30 Jahre zurückliegt. Das Land ist geprägt von Armut und Korruption aber gleichzeitig von großem kulturellen Reichtum. Angkor Wat, die alte Tempelstadt, gilt als das achte Weltwunder. Die Khmer – die ethnische Mehrheit in Kambodscha – sind sehr stolz auf Angkor.
Ich war sehr gespannt auf Kambodscha. Wird es schockierend, traurig, schwierig werden? Oder hat die Tourismusindustrie bereits so viele Dollars in das Land gespült, dass die Authentizität – und die berühmte kambodschanische Freundlichkeit – flöten gegangen sind?
Vietnam und Kambodscha sind sich so nah und gleichzeitig so fern. Schon an der Grenze wird klar, dass wir eine andere Welt betreten. Kambodscha ist das Land der Tempel. Das Abbild von Angkor Wat ziert stolz die nationale Flagge, ein goldener Tempel mit den landestypischen geschwungenen Spitzen ragt in den Himmel. Die Überquerung der Grenze über Land ist immer spannend. Es ist, als würden sich die Luft, die Geräusche und Gerüche plötzlich ändern.
Phnom Penh ist eine Stadt der Gegensätze. Modern und traditionell, aufpoliert und schäbig, prunkvoll und elend, arm und reich zugleich. Die Boulevards am Fluss und die im Sonnenlicht golden glitzernden Tempel und Paläste sind die Vorzeigeseiten der Hauptstadt. Hier bekommt man eine Ahnung, wie mächtig und reich das Land mal gewesen sein muss. Es ist sehr sauber, die Straßen sind neu gemacht, nirgendwo liegt Müll herum. Die Restaurants am Flussufer bieten köstliche (und westliche modifizierte) Gerichte zu Spottpreisen. Wenn man sich nur in diesem Viertel aufhielte und den kleinen Seitengassen fernbliebe, würde man nicht auf die Idee kommen, das Kambodscha ein so armes Land ist.
Ein Besuch auf dem Orussey Markt bringt etwas mehr Normalität in den blendenden Schein der goldenen Tempeldächer. Chaos, Lärm, Gestank, Menschen, Hühner, Fische, Schweinehälften, hochwertiges Kunsthandwerk und billige massengefertigte Waren kreuz und quer. Ich liebe Märkte, weil sie meine Augen und Ohren total überfordern, es ist wie ein Rausch aus visuellen, akustischen und olfaktorischen Reizen. Inzwischen kann ich Kauf-Versuchungen ganz gut widerstehen. Es dauert aber höchstens eine Stunde, bis meine Sinne erschöpft sind und ich da raus muss.
Phnom Penh ist eine gute Basis, um sich mit der Geschichte des Landes ein wenig vertraut zu machen. Mit dem Tuk Tuk fahren wir zu viert zum Choeung EK Genocidal Center, wo in den 70er Jahren rund 20.000 Menschen unter dem brutalen, kommunistischen Khmer Rouge Regime exekutiert worden sind.
Allein die Fahrt ist super interessant. Wir verlassen das Stadtzentrum und überqueren die ärmeren Viertel von Phnom Penh. Die Straßen sind teilweise eine Katastrophe, voller riesiger Löcher. Staub und Smog machen das Atmen schwer und eine feine Staubschicht überzieht gleichmäßig die Haut. Überall liegt Müll und Plastikzeug herum, alles ist voller Baustellen, bei denen man nie weiß, wann sie beendet werden. Der Verkehr ist chaotisch, Menschen sitzen zu fünft auf einem Roller oder füllen Ladeflächen von kleinen LKWs, einfach alles wird auf unglaublichsten Vehikeln transportiert, Bananenstauden, Bambusrohre, Tiere, Hausrat. Die Khmer scheinen nicht gerade zimperlich zu sein und sie machen alles, so gut sie können.
Choeung EK ist an sich zunächst mal gar nicht schrecklich anzusehen. Es ist auf den ersten Blick kein Ort zum Gruseln, eher ein ruhiger Ort zum Gedenken. Wir bekommen einen Audio-Guide und jeder macht seine Runde für sich allein.
Ich habe vorher nur ein wenig über die Geschichte Kambodschas gelesen. Aber die Audio-Tour bietet einen echt guten Einblick in die historischen Hintergründe und traurigen Geschehnisse während des Khmer Rouge Regimes. Es ist schwer zu begreifen, dass ein Mensch, der damalige Regierungschef Pol Pott, dieses Land so ins Unglück getrieben hat. Seine wahnsinnigen Idee war, Kambodscha in kürzester Zeit in eine ultra-kommunistische, geschlossene und autarke Agrar-Kooperative umzuwandeln und zwar mit allen Mitteln.
Phnom Penh wurde innerhalb kurzer Zeit komplett evakuiert und die Einwohner in die Reisfelder zur Zwangsarbeit geschickt. Alle potenziellen Saboteure von Potts Plänen wurden gefoltert und systematisch umgebracht – diese Paranoia ging so weit, dass es ausreichte, eine Fremdsprache zu sprechen oder lesen zu können. Innerhalb von vier Jahren wurde fast die gesamte intellektuelle Schicht Kambodschas ausgelöscht. Insgesamt rund zwei Millionen Menschen (damals ca. ein Viertel der Gesamtbevölkerung) erlagen bei Zwangsarbeit, Folterungen oder in sogenannten killing camps. Choeung EK ist eines der bekanntesten, mit 129 Massengräbern.
Details will ich euch ersparen, denn das was der Audio-Guide beschreibt, ist mehr als grausam.
1979, nach vier Jahren Khmer Rouge-Regime, wanderten vietnamesische Truppen in Phnom Penh ein. Die roten Khmer wurden vertrieben, waren aber noch jahrelang im Untergrund tätig. Was ich ganz krass finde, ist, dass viele westliche Länder die roten Khmer auch noch nach deren Vertreibung durch die Vietnamesen jahrelang als Regierungsvertretung für Kambodscha anerkannten und sogar teilweise im Guerilla-Krieg gegen die vietnamesischen Besetzer unterstützten. Eine Schande.
Zum Gedenken und zur Ehrung der Opfer wurde in Choeung EK eine Stupa gebaut, in deren Inneren Hunderte von Schädeln der Opfer in einem riesigen Glaskasten liegen.
Es ist eine krasse Vorstellung, aber es sind noch so viele Zeitzeugen am Leben – jeder um die 40 hat alles miterlebt. Diese Khmer sind durch die Hölle gegangen. Wie kann es sein, dass sie dennoch so eine Gutmütigkeit und Freundlichkeit ausstrahlen? Je länger ich in Asien bin, desto sicherer bin ich mir, dass es eine Korrelation geben muss zwischen Armut+Unterdrückung und Herzlichkeit+menschlicher Wärme. Schwer zu glauben, aber Kambodscha ist ein gutes Beispiel dafür.