Es ist Samstag Abend als wir in Saigon ankommen und mir scheint als wären alle Bewohner Saigons draußen auf den ihren Rollern unterwegs. Wir kämpfen uns zu Fuß durch das Chaos, um zum Haus von George, unserem Couchsurfing-Host zu gelangen.
Der knapp halbstündige Marsch durch Ho-Chi-Minh-City (wie Saigon seit Ende des Vietnam-Krieges offiziell heisst) ist der Wahnsinn. Die Dichte an Rollern ist unfassbar und mit nichts bisherigem zu vergleichen. Ich dachte Hanoi sei schon nicht zu toppen. Saigon kann noch einen drauf setzen. Roller, wo man hinschaut. Sie fahren sogar auf den Bürgersteigen, weil die Straßen zu verstopft sind und hupen dabei wie verrückt. Viele Fahrer tragen Mund- und Nasenschutz-Masken, um sich vor den Abgasen zu schützen. Hunderte von Helmen drängen sich an den Kreuzungen aneinander vorbei. Wie unzählige, kleine, bunte Pilzkappen. Die Stadt summt den Roller-Motor-Song, das dominierende Geräusch. C-R-A-Z-Y!
George führt uns in das draußen-Nachtleben von Saigon ein. Wir sitzen auf dem Bürgersteig auf kleinen Plastikhockern zwischen Hunderten von Menschen. Vietnamesen, Touristen, alle kreuz und quer. Wenn man nicht völlig menschenscheu ist, ist es unmöglich, keine Leute kennen zu lernen. Gezapftes Bier ist das bevorzugte Getränk. Es ist lächerlich günstig. 7.000 Dong pro Glas, umgerechnet rund 25 Euro-Cent. Es ist eine Falle – wir bestellen eine Runde nach der nächsten und trinken auf unser Wohl und das unserer britischen, chilenischen, französischen, slowakischen und vietnamesischen Freunde.
Auf der Straße ist der Teufel los. Die Menschen, Bikes, Lichter und Straßenhändler sind nicht zählbar. Letztere sind in dieser Stadt besonders lästig. Wenn man einen ungünstigen Sitzplatz erwischt hat, wird man pausenlos angesprochen. Schmuck, fake-Uhren, gefälschte Lonely Planet und anderer Kram werden einem ohne Ende unter die Nase gehalten. Das ist noch harmlos. Wenn man nicht so viel Glück hat, hält eine Verkäuferin mit Hunderten von getrockneten Tintenfischen direkt in Riechweite. Vietnam kann einen manchmal ganz schön auf die Probe stellen.
Saigon ist eine moderne Großstadt und die größte Stadt Vietnams. Weit entwickelt, sauber – eine Vermischung von Westen und Asien. Georges Wohnung liegt in einer dieser schmalen, verwinkelten Seitengassen, die ein bisschen altertümlich-asiatisch wirken. Die Türen und Fenster der Nachbarwohnungen stehen weit offen und geben Blicke frei auf den Alltag der Einheimischen. Da sitzt die Oma auf dem Fußboden und schaut fern, die Mutter macht Räucherstäbchen auf dem Familienaltar an, der Sohn poliert vor dem Haus seinen Roller… Total interessant ist das! Ich könnte stundenlang durch diese Gassen spazieren und in fremde Wohnzimmer glotzen.
Was ich an Saigon besonders liebe, ist das Essen. Es ist allgegenwärtig und mitunter das beste in Vietnam. Nirgendwo hatte ich so gute Frühlingsrollen, vietnamesische belegte Baguettes, den legendären Kaffee – und vor allem Pho (ausgesprochen „Fööh?“), die typische vietnamesische Reisnudelsuppe mit Rindfleisch, Sprossen, Kräutern und Chili. Vielleicht mein Lieblingsgericht auf dem gesamten südostasiatischen Festland.
Es sind nicht die Museen oder irgendwelche berühmten Monumente, die Saigon spannend machen, sondern einfach der Alltag. Ganz normaler Wahnsinn.
Aber ich schaue dennoch zumindest im Kriegsopfermuseum vorbei, welches die Entwicklungen und Folgen des Vietnam-Krieges dokumentiert. Ich kenne den genauen Verlauf und die Details des Krieges nicht und das wird auch im Museum nicht wirklich deutlich. Aber es ist erkennbar, dass die Darstellung der Geschehnisse ziemlich nationalistisch und einseitig ist – wie erwartet wird nur die Sicht der Sieger dargestellt. Klar ist es entsetzlich zu sehen, welche Zerstörungen, die US-Army hinterlassen hat und mit welchen Mitteln sie gekämpft hat, z.B. Napalm oder Agent Orange, dem (als Waffe illegalen) hochgiftigen, chemischen Entlaubungsgas, das Krebs und fürchterliche Missbildungen erzeugte. Aber es wird z.B. nicht deutlich, welche Folgen die Gewalttaten im Rahmen des Bürgerkrieges zwischen Nord- und Südvietnam hatten.
Wenn man sich diese Zerstörungen anschaut, ist es schon bewundernswert, wie die Vietnamesen es hinbekommen haben, ihr Land wieder aufzubauen. Es ist heute moderner, wirtschaftlich entwickelter und stabiler als viele Nachbarländer. Vietnam gilt eigentlich als sozialistisch, aber der Kapitalismus hat sich durch die Hintertür eingeschlichen, wenn man sich in Saigon umschaut.